Colmina – eine kurze Geschichte des «posto più bello del mondo»
Schön? Nein, Colmina ist nicht einfach schön. Nicht bloss idyllisch. Colmina ist mehr. Viel mehr. Schlicht «il posto più bello del mondo». So hat es Fausto mal ausgedrückt, und der war kein Mann der grossen Worte. Lieber schichtete er stundenlang Steine und renovierte Häuser auf dieser Alp hoch über dem Centovalli mit Blick auf den Lago Maggiore auf der einen und dem Onsernone-Tal auf der anderen Seite. Aber beginnen wir von vorne in der Colmina-Geschichte.
Um 1850 wurde in der Region alles Land benötigt, um die in Armut lebenden Leute zu ernähren – es blieben nur wenige Waldflecken übrig. In den 1950er- und 1960er-Jahren standen dann allerdings viele Tessiner «Monti» mit ihren charakteristischen Steinhäusern vor dem Verfall. 1959 organisierte der Escherbund – entstanden 1935 auf der Grundlage eines freiheitlichen, ethisch begründeten Sozialismus – in Pila oberhalb von Intragna ein Treffen. Mit dabei war Gertrud Schümperli, im Spital «Schwester Gritli» genannt, für die Verwandten schlicht «Gotte Trudi». Rasch wuchs ihr die Gegend ans Herz, und schon ein Jahr später erwarb sie die beiden Häuser von Colmina di dietro. Bald kam die grosse Fläche bis zum Hügel hinzu, mit fünf Häusern und einer Ruine. Mit Hilfe von einheimischen Handwerkern wurden zuerst im hinteren Teil, später auch an Häusern im vorderen Bereich Ausbauarbeiten vorgenommen.
Die Erinnerung an Gotte Trudi dürfte bei allen, die sie gekannt haben, lebendig geblieben sein. Eine kleine Frau mit einem furchigen, gütigen Gesicht. Grosses Kreuz an einer Kette um den Hals. Bescheiden, genügsam und immer mit einem sanften Lächeln auf den Lippen. Auf Colmina schlief sie in einem winzigen Zimmerchen. Und freute sich als kinderlose Rotkreuz-Schwester über die Kinderschar, die Leben auf die Alp brachte. Einmal erzählte sie dem staunenden Nachwuchs, wie sie vor dem Kauf der Alp Nonna Lucia zur Hand gehen wollte, die im Sommer auf Colmina wohnte und bei einer Quelle Wasser holen ging. Und wie sie es trotz vieler Jahre Altersunterschied nicht einmal schaffte, den Wasserbehälter überhaupt nur vom Boden hochzuheben.
Von der Leidenschaft für Colmina liess sich vor allem Gotte Trudis Schwester Susi Gurtner mit ihrer Familie anstecken. Auf einem Acker begannen bald Kartoffeln und anderes Gemüse zu gedeihen. Später war ihr Sohn Martin mit seiner Frau Margrit treibende Kraft auf Colmina. Sommer für Sommer wurden zusammen mit den drei Söhnen sowie tatkräftiger Mithilfe von Verwandten und Freunden die Wiesen gemäht und mit Holzrechen geheut, damit sich der rasch wachsende Wald nicht über die ganze Alp ausbreitete. Die Häuser und die Umgebung wurden instand gehalten – wobei es über Jahre Unterstützung gab von den beiden Einheimischen Fausto, der Reparaturen an den Häusern vornahm, und Sebe, der fürs Mähen zuständig war. Strom gibt es bis heute keinen, gekocht wird auf dem offenen Feuer, geduscht unter freiem Himmel. Das Wasser musste einst in Kanistern im knapp fünfzehn Gehminuten entfernten Calascio geholt werden – bis schliesslich 1985 eine Wasserleitung nach Colmina hochgezogen wurde.
1993 starb Gotte Trudi. Die Alp hinterliess sie ihren Geschwistern und deren Nachkommen – der Ort solle «als Stätte des Friedens und der Erholung» erhalten bleiben. Um Gotte Trudis Erbe langfristig zu sichern, wurde 2007 eine Genossenschaft gegründet. Mittlerweile haben engagierte, junge Kräfte einen grossen Teil der anfallenden Arbeiten übernommen – und die nächste Generation stapft auch schon munter auf Colmina herum.
Herausforderungen gab und gibt es immer wieder neue. Wildschweine zerwühlten über Jahre die Wiesen, die in stundenlanger, mühseliger Kleinarbeit von Margrit Gurtner “repariert” wurden – schliesslich konnte nur noch ein Zaun rund um Colmina Abhilfe schaffen. Martin Gurtners ganzer Stolz ist der Neubau der 130 Meter langen Trockenmauer am Schlangenweg. Mehrere Häuser im vorderen und hinteren Teil erhielten in den letzten Jahren neue Steindächer und wurden im Inneren erneuert und ausgebaut. 2025 zogen erstmals wieder Nutztiere auf die Alp – nicht wie einst Kühe und Geissen, sondern Schafe, Alpakas und ein Lama. Mit ihnen sorgt Marika Neveri dafür, dass sich der Zustand der Böden wieder verbessert.
Einiges hat sich verändert in all den Jahren auf Colmina. Geblieben sind das einfache Alpbleben, der Respekt vor der Natur, der Idylle, dem Vermächtnis von Gotte Trudi. Und die tiefe Verbundenheit mit einem einmaligen Ort. Eben dem «posto più bello del mondo»…
Mick Gurtner – mit Material von Martin Gurtner